Seit Jahren boomen die Finanzmärkte nicht nur in der Höhe sondern auch in der Breite. Wie genau diese Entwicklung aussieht, welche Gründe sie hat und was man dagegen tun kann, sehe ich mir in dieser Folge mit Magdalena Senn genauer an.
Hallo und herzlich willkommen bei den Wirtschaftsfragen. Seit Jahren boomen die Finanzmärkte. Nicht nur in der Höhe, sondern auch in der Breite. Was das für Gründe und Konsequenzen hat, sehen wir uns heute etwas genauer an.
Magdalena Senn: Aber angesichts der ganzen schädlichen Aktivitäten, die wir in unserem Bericht aufzeigen, wollen wir eben sagen: Mehr Finanzmarktregulierung und eine Schrumpfung des Finanzsektors ist eigentlich der Weg zu mehr Wohlstand für alle.
Das war Magdalena Senn. Sie ist Ökonomen und Referenden bei der Bürgerbewegung Finanzwende und hat kürzlich mit Michael Peters ein Report über die Gründe und die Konsequenzen des riesigen Finanzsektors veröffentlicht. Dazu wird sie uns gleich einige Fragen beantworten. Bevor wir uns ihren Report genauer ansehen, zoomen wir nochmal heraus und schauen noch mal genereller auf die Finanzialisierung. Unter der Finanzialisierung kann man grundlegend die Ausweitung von Finanz Aspekten verstehen. Das spiegelt sich dann in ganz unterschiedlichen Facetten wider. Zum einen kann man darunter verstehen, dass sich der Finanzsektor im Verhältnis zum realwirtschaftlichen Sektor ausweitet. Ebenso kann sich der Anteil von finanziellen Vermögensgegenstände im Verhältnis zum Gesamtvermögen ausweiten. Das wären jetzt zwei eher quantitative Beobachtungen, die man im Zuge der Finanzialisierung erkennen kann. Daneben verändert sich auch die Entscheidungsfindung sowohl auf Finanzmärkten als auch im Privatunternehmen. Da der Nutzen der Investoren immer relevanter wird. Diese Entwicklung gehen sowohl mit der wirtschaftspolitischen Liberalisierung als auch mit der Digitalisierung einher. Bei dem technischen Stand von 1960 wären viele der heutigen Finanzmarkt-Transaktionen gar nicht möglich.
Auf der politischen Seite sind ganz unterschiedliche Politikfelder betroffen. So ist es zum einen die Steuerpolitik, die im Laufe der Jahrzehnte alle relevanten Steuern für Unternehmen und Superreiche gesenkt hat. Genauso wichtig, aber weniger naheliegend ist die Haushaltspolitik. So hat zum Beispiel die Schuldenbremse zu Kuriositäten auf allen Ebenen staatlicher Akteure geführt. So investieren zum Beispiel Universitäten ihre Überschuss am Finanzmarkt, um daraus langfristig ihre Einnahmesituation zu verbessern. Und das nur, weil aufgrund politischer Regeln wie der Schuldenbremse die staatlichen Mittel so begrenzt sind. Ähnliches sehen wir bei der Altersvorsorge. In den letzten Jahrzehnten, wurde das Rentensystem immer weiter geschwächt, sodass private Rentenvorsorge immer wichtiger wurde. Diese private Rentenvorsorge führt natürlich dazu, dass auch Privathaushalte sich mehr am Finanzmarkt beteiligen. Vor allem in der Corona-Krise haben viele ihre hohe Sparquote für den Einstieg am Finanzmarkt verwendet. Auch hier hat die Digitalisierung ihre Finger im Spiel, da durch den Aufstieg der Neuburger der Aktienhandel enorm leicht und günstig wurde. All das Geld, das im Finanzsektor von Privathaushalten oder von Staatshaushalten gespart wird, ist schlecht für die Wirtschaft. Wenn jemand auf Ausgaben verzichtet, kann ein anderer auch nichts einnehmen. Wenn also immer mehr Leute einen immer höheren Anteil sparen, haben wir übrigens ein Problem, wenn alle alles sparen. Wenn der Finanzmarkt auf der einen Seite relevanter wird, dann ist es auch naheliegend, dass ein Gegenargument auf der anderen Seite sehr stark zunehmen wird. Man soll ja bloß nicht den Finanzmarkt belasten, da das ja dann auf die Kleinsparer zurückfalle. Zu den politischen Maßnahmen komme ich später aber noch mal genauer.
Liebe Magdalena, Du hast neulich mit Michael Peters den Report herausgegeben. Der Finanzsektor zu groß. Wie groß ist der Finanzsektor denn?
Magdalena Senn: Gute Frage gleich zum Start. Die Übergröße des Finanzsektors. Wie kann man das eigentlich messen? Wir haben uns als Grundlage und als Startpunkt für unseren Bericht ein Indikator ausgesucht, der da häufig verwendet wird dafür. Und der misst eben die gesamten finanziellen Vermögenswerte, also alles wie Aktien, Anleihen etc. im Verhältnis zum Inlands Produkt, also der Wirtschaftsleistung der Eurozone. Und wenn man sich das anschaut über die letzten 20 Jahre, dann hat sich die Größe des Finanzsektors einfach verdoppelt von dem ca. vierfachen der Wirtschaftsleistung der jährlichen auf das Achtfache. Und so eine Entwicklung passiert natürlich nicht über Nacht, sondern ist Teil eines längerfristigen Trends. Und man kann eben sagen, dass seit dem Ende des Bretton Woods Abkommen und der Ära der Finanz-Deregulierung das übermäßige Wachstum des Finanzsektors seinen Lauf genommen hat. Und in unserem Report sagen wir eben, dass so ein aufgeblasener Finanzsektor Konsequenzen hat für Menschen und Unternehmen.
Das ist ja schon eine Größenordnung, die kaum mehr vorstellbar ist. Ihr schreibt im Gutachten von der Selbstbeschäftigung der Finanzmärkte und stellt in Frage, dass die Finanzwirtschaft die Realwirtschaft noch dient. Was hat es damit auf sich?
Magdalena Senn: Mit der Selbstbeschäftigung des Finanzsektors meinen wir den sehr großen Anteil an Finanzmarkt-Aktivitäten, die rein zwischen Finanz-Akteuren stattfinden, also zum Beispiel zwischen Banken und Schattenbanken. Und da haben wir uns eben auf die Suche nach interessanten Zahlen gemacht und haben erst mal angeguckt die Bankbilanzen der europäischen Banken. Und da findet man eben raus, dass nur 30 Prozent dieser Bilanzen in die Kreditvergabe an private Haushalte und nicht Finanzunternehmen, also die Realwirtschaft fließen. Und da muss man sich schon fragen; das Hauptgeschäft von Banken, laut Ökonomie-Grundverständnis, ist ja die Kreditvergabe, aber wenn Sie das nur zu 30 Prozent machen, was machen sie eigentlich mit dem ganzen Rest? Und die Antwort ist eben, was wir in diesem Abschnitt thematisieren. Ganz viele Finanzmarkt Transaktionen finden zwischen Finanz Akteuren statt. Wir haben dann auch noch die Deutsche Bank als Akteur genauer angeguckt und in ihrem Geschäftsbericht für 2020 nachgelesen, dass die Kredite an die Realwirtschaft vergeben hat in einem Volumen von drei Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts, während ihre Derivate Position sich auf 1000 Prozent des deutschen BIPs belaufen. Und bei den Derivaten muss man dann noch dazusagen: Die überwiegende Mehrheit der Derivate-Verträge hat zwei Finanzmarktakteure als Vertragspartner. Das heißt, die Deutsche Bank ist eben extrem stark in diesem Intrafinanzgeschäft involviert und Kreditvergabe an die Realwirtschaft ist für sie eher eine kleine Nebentätigkeit.
1000 Prozent des BIPs bei Derivaten und nur 3 Prozent des BIPs bei Krediten. Das sind ja Welten bzw. Länder an Unterschieden. Was für Konsequenzen hat diese Entwicklung und diese Selbstbeschäftigung für die Gesellschaft?
Magdalena Senn: Die Selbstbeschäftigung bleibt nicht ohne Konsequenzen für Firmen und Haushalte. Wenn man zum Beispiel den Punkt Hochfrequenzhandel nimmt, also den Aktienhandel von Finanzmarktakteure im Millisekunden Takt, um minimale Preisunterschiede auszunutzen und daraus Profit zu schlagen, dann sieht man an verschiedenen Studien, dass das die Preise treibt. Das kann Lebensmittelpreise treiben oder Rohstoffpreise. Und im Endeffekt schadet es dann denjenigen, die tatsächlich mit diesen Gütern handeln wollen und kaufen und verkaufen im Rahmen ihrer Wertschöpfung und nicht einfach nur damit wild am Finanzmarkt im Kreis handeln möchten. Und genauso ist es bei spekulativen Aktivitäten. Wenn Banken jetzt groß im Derivate-Geschäft sind und da Profite daraus ziehen, dann kann das eben die Finanzstabilität insgesamt untergraben. Und wenn es dann mal kracht, dann sind viele Banken so groß, dass sie systemisch relevant sind und im Zweifel von Steuerzahler finanzierten Rettungsaktionen profitieren, wie es auch der Fall war in der Finanzkrise 2007 und 2008, während dann Haushalte und kleinere Firmen sehr unter Krisen leiden. Da werden Arbeitsplätze vernichtet, Existenzen vernichtet, weil eben kleinere Akteure sich nicht auf diese staatliche Versicherung verlassen können. Und das ist dann eben auch eine Konsequenz von dieser Übergröße und der Selbstbeschäftigung von Finanzmärkten.
Diese Übergröße zeigt, wie notwendig die Regulierung ist. Ein Kapitel eures Reports dreht sich daher auch um die Regulierung bzw. die Umgehung der Regulierung des Finanzsektors. Welche Probleme gibt es dort?
Magdalena Senn: Ja, ein spannendes Kapitel unseres Reports ist eben auch die Umgehung von Regulierungen durch Finanzmarktakteure. Und da ist es so, dass tatsächlich der Finanzsektor immer wieder Strukturen schafft, die nur darauf abzielen, bestehende Regeln zu umgehen und daraus Profit zu schlagen. Wenn zum Beispiel Banken ihren Unternehmenskunden helfen, die Steuerlast fast auf Null zu drücken und ihre Aktivitäten in Steueroasen zu verlegen, dann schaden Banken dem Gemeinwohl. Und gleichzeitig wissen wir eben auch, dass Banken selber diese Praxis verfolgen und oft ihre Profite dort verbuchen, wo die Steuerlast besonders niedrig ist und nicht da, wo sie eigentlich ihre Geschäfte machen. Sieht man zum Beispiel an der Zahl der Produktivität der einzelnen Bankmitarbeiter, die in Steueroasen um ein Vielfaches höher ist als in normalen Jurisdiktionen, weil die Banken eben ihre Aktivitäten auf dem Papier dahin schieben, wo sie möglichst wenig Steuern zahlen müssen, dann haben wir im Report ganz interessante Zahlen von dem neuen European Tax Observatory. Genau. Und Umgehung von Regulierung ist auch ein ganz prägnantes Beispiel. Cum Ex und Cum-Cum, das sind die illegalen Griffe in die Steuerkasse von Finanzakteuren in Deutschland und auch anderswo in Europa. Und da haben wir eben auch Zahlen im Report. In Deutschland hat diese Praxis den Staat 38 Milliarden gekostet und weltweit wird der Verlust auf 150 Milliarden Euro geschätzt. Und bei Cum Ex und Cum-Cum. Das ist eben eine Praxis, bei der Aktien um den Dividenden Stichtag herum gehandelt werden, damit die Involvierten sich eine Steuer, die sie einmal gezahlt haben, mehrfach zurückerstatten lassen können. Und damit dieser Betrug sich lohnt, müssen aber ganz viele Aktien gehandelt werden. Und durch diese Aktivitäten, die nur zu diesem illegalen Steuerraub dienen, werden einfach Strukturen geschaffen und Transaktionen durchgeführt, die den Finanzmarkt insgesamt wahnsinnig aufblähen.
Das war jetzt ein ganzes Bündel an Problemen. Dafür gibt es natürlich nicht eine Lösung. Kann es uns einen kleinen Überblick über die möglichen Maßnahmen geben?
Magdalena Senn: Als Reaktion auf diese ganzen Dimensionen der Übergröße und der schädlichen Aktivitäten des Finanzsektors haben wir in unserem Report eine ganze Liste von guten Regulierungsvorschlägen aufgeschrieben. Und das Spannende ist, was diese Vorschläge alle gemein haben, ist, sie werden schon lange diskutiert. Sie waren mal auf der politischen Agenda und wurden aber erfolgreich von der Finanzlobby verhindert. Und deswegen haben wir die hier noch mal aufgeschrieben, weil wir denken, dass diese Vorschläge einen Beitrag leisten könnten, den Finanzmarkt wieder besser zu regulieren, ihn dadurch auch zu schrumpfen und auf sinnvollere Aktivitäten auszurichten. Da gibt es zum Beispiel die Finanztransaktionssteuer, die schon oft diskutiert und empfohlen wurde. Die würde eben dafür sorgen, dass es weniger spekulativen Handel mit Finanzprodukten gibt und dass dadurch einfach und profitabel wird, was gerade zu großen Teilen von Finanzakteure betrieben wird. Genauso sprechen wir uns aus für ein Trendwenden Gesetz, was dafür sorgt, dass die Geschäftsbanken getrennt werden von den Investmentbanken, so dass der Staat nicht mehr das riskante Geschäfte Investmentbanken implizit versichert. Ja, und wenn man sich auch die Finanzprodukte anschaut und den Vertrieb, dann sind in unseren Vorschlägen auch ein provisorisches Verbot bei Finanzdienstleistungen, weil es immer wieder zu Interessenkonflikten in der Beratung führt und Leute dann am Ende die Produkte angeboten bekommen, zum Teil, die lukrativer sind für die Berater als für sie selbst.
Aus meiner Sicht sind das alles unterstützenswerte Positionen, wo genau euer Druck der wichtige ist. Einige Themen, wie zum Beispiel das Provisions-Verbot, wurden ja bereits abgeräumt. Das stand zwar im Sondierungspapier der Ampel drin, ein Koalitionsvertrag dann aber nicht mehr. Gibt es noch einen Punkt, in dem Gutachten noch mal besonders betonen möchtest?
Magdalena Senn: Die Finanzlobby will uns immer weismachen, dass eine stärkere Regulierung des Finanzsektors dazu führt, dass sie weniger Kredite und Finanzdienstleistungen anbieten kann und dadurch der Wohlstand vermindert wird. Aber angesichts der ganzen schädlichen Aktivitäten, die wir in unserem Bericht aufzeigen, wollen wir eben sagen: Mehr Finanzmarktregulierung und eine Schrumpfung des Finanzsektors ist eigentlich der Weg zu mehr Wohlstand für alle. Und man muss eben dieses Bild des Finanzsektors als goldene Gans endlich ablösen, die goldene Eier für die Gesellschaft legt und die immer gefüttert werden sollte, sondern man muss hinkommen zu anderen Bildern, die einfach eher einen kleineren und produktiven Finanzmarkt in den Vordergrund stellen. Das ist ganz wichtig, dass wir uns da im Klaren sind, dass der Finanzsektor in seiner jetzigen Form eigentlich unterm Strich mehr schadet als nützt und es aber gute Regulierungsansätze gibt, ihn wieder stärker in den Dienst von Wirtschaft und Gesellschaft zu stellen.
Vielen Dank, liebe Magdalena, für die spannenden Antworten. Wir können also festhalten, dass im Finanzmarkt in den letzten Jahrzehnten in seiner Größe und in den Auswirkungen stark gewachsen ist. Offensichtlich hat das starke Auswirkungen auf die Fragen von Stabilität und Ungleichheit. Es ist wohl auch davon auszugehen, dass in den nächsten Jahren der Finanzmarkt noch weiter wachsen und sich weiter verflechten wird, da viele eurer wichtigen Punkte sich leider nicht im Koalitionsvertrag der Ampel wiederfinden. Auf die einzelnen Maßnahmen zur Schrumpfung des Finanzsektors werden wir hier im Podcast sicherlich noch mal genauer eingehen, wenn euch die Folge gefallen hat. Könnte im Podcast gerne abonnieren oder auf Spotify nun auch bewerten. Bis zum nächsten Mal, bei den Wirtschaftsfragen.