Lockdown-Gewinner zur Kasse! – mit Martin Schirdewan

Während in der Pandemie vor allem kleine Betriebe und kleine Einkommen finanzielle Einschnitte hatten und Reserven aufgeraucht wurden, sah es bei manchen Großunternehmen und Milliardären anders aus. Um sie zu besteuern, gibt es neben der Vermögensabgabe, die wir uns heute genauer ansehen.

Hallo und herzlich willkommen zu den Wirtschaftsfragen. In der letzten Folge haben wir uns mit Martyna Linartas die Entwicklung der Ungleichheit angesehen und festgestellt, dass sie beim Vermögen sehr viel höher ist als beim Einkommen. Das hat sich seit der Coruna Krise noch mal deutlich verstärkt. Während vor allem kleine Einkommen und kleine Betriebe finanzielle Einschnitte hatten und deren Reserven dadurch aufgebraucht wurden, sah es bei Großunternehmen, Multimilliardär und Milliardären ganz anders aus.

Martin Schirdewan: Und wir haben es logischerweise mit einer erschreckenden Konzentration von Krisengewinn in den Händen von nur wenigen Großkonzernen zu tun. In Deutschland allein haben fünf Großkonzerne allein über 87 Prozent aller Krisengewinn eingenommen, darunter ein Konzern, auf den allein 60 Prozent der Krisengewinn zurückfallen.

Das war Martin Schirdewan. Er ist promovierter Politikwissenschaftler und Vorsitzender der Linksfraktion im Europäischen Parlament. Er fordert die sogenannte Übergewinnsteuer, die einen Übergewinn von Unternehmen ansetzt. Was das genau ist, sehen wir uns gleich näher an. Wie immer, zoomen wir vorher erst mal kurz heraus und sehen uns an, an welchen Besteuerungsorten die Krisen-Profiteure überhaupt zur Kasse gezogen werden können. Dazu muss man logischerweise an einem Wert ansetzen, der in der Krise übermäßig gestiegen ist. Man könnte also einerseits im Unternehmen beim Umsatz oder Gewinn ansetzen oder beim Einkommen oder Vermögen einer Privatperson. In der Debatte um diese Krisen-Besteuerung haben sich vor allem zwei Varianten durchgesetzt. Das ist einerseits die extra Besteuerung von Unternehmensgewinnen oder von Privatvermögen. Dabei ist wichtig zu unterscheiden, ob nun der zusätzliche Gewinn oder das zusätzliche Vermögen besteuert wird oder der gesamte Gewinn oder das gesamte Vermögen. Die Frage ist also: Müsste man nur den Anfangszustand der vor Pandemien Zeiten wiederherstellen oder möchte man verteilungspolitisch darüber hinausgehen?

Durch die Ausnahmesituation der Pandemie und den damit einhergehenden Lasten hat man juristisch als auch politisch weitere Handlungsspielräume als sonst. Das gilt vor allem für die Vermögensabgabe der Linken, die sich auf das Gesamtvermögen, also nicht nur den Anstieg in der Corona-Pandemie bezieht, sondern auf das gesamte Vermögen von Multimillionären und Milliardären. Die Vermögensabgabe sieht einen linear ansteigenden Steuersatz bzw. Abgabe Satz vor, der von 10 auf 30 Prozent ansteigt. Diese Abgabenlast ist dann über 20 Jahre abzahlbar, wodurch die jährliche, die effektive Steuerlast bzw. Abgabenlast erheblich sinkt. Ein weiterer Vorschlag kam von Oxfam, der eine 99-prozentige Abgabe auf die Vermögens Zuwächse, also nicht das Gesamtvermögen bei Superreichen vorsieht. Von diesem hohen Prozentsatz darf man sich nicht täuschen lassen, da er natürlich eine viel geringere Besteuerung als Grundlage hat, als es beim Gesamtvermögen wäre. Einen anderen Ansatz verfolgt die sogenannte Über-Gewinnsteuer, die als Grundlage die Unternehmensgewinne hat, die in der Krise außerordentlich gestiegen sind. Also nicht der Gesamtgewinn, sondern nur der zusätzliche Gewinn.
Lieber Martin, du hast eine Studie zur Übergewinnsteuer in Auftrag gegeben, wo auch die Gewinnentwicklung der Großunternehmen beleuchtet wurde. Wie haben sich denn die Gewinne der großen Unternehmen entwickelt?

Martin Schirdewan: Um dem Ausmaß der Krisen-Gewinne genauer auf den Grund zu gehen, haben wir in der Linksfraktion dann also folgende Studie in Auftrag gegeben, bei der Forschungsgruppe Kortex, der Universität in Prag, die sich eben genau mit diesen Übergewinn der multinationalen Konzerne beschäftigt hat. Und dabei ist rausgekommen, dass die Multis, welche allein in der EU tätig sind, im Krisenjahr 2020 360 Milliarden Euro allein an extra Profiten eingenommen haben. Das heißt an Gewinnen, die über das hinausgehen, was sie üblicherweise an Gewinn und Gewinnwachstum verbuchen würden. Und Multis mit Hauptsitz in Deutschland haben allein 15 Milliarden Euro an diesem Krisengewinn eingenommen in 2020. Und dabei handelt es sich wirklich ausschließlich um multinationale Unternehmen bei diesen Zahlen, die ein Jahresumsatz haben von mindestens 100 Millionen US-Dollar beziehungsweise 81 Millionen Euro.

360 Milliarden Euro an Übergewinnen in der EU, das ist ja schon eine Hausnummer. Welche Branchen und welche Unternehmen fallen besonders darunter?

Martin Schirdewan: Ja, das ist tatsächlich eine sehr spannende Frage, wo man ganz genau gucken muss, wer eigentlich wirklich davon profitiert hat oder welche Branchen und Sektoren. Und zunächst ist da zu nennen das verarbeitende Gewerbe, worunter an dieser Stelle auch Big Pharma fällt. Der zweite Sektor, der massive Übergewinne erzielt hat, ist der ganze Informations- und Kommunikationssektor. Das überrascht uns nicht, wie die Tech-Giganten Google, Microsoft, Facebook, aber auch Netflix und so weiter und so fort. Und drittens Finanzdienstleister, darunter solche Unternehmen wie Visa, Kreditkarten-Anbieter, die massive Profitsteigerung verbuchen konnten, weil das sozusagen die Notsituation, deren Geschäftsmodell einfach massiv unterstützt entgegengekommen ist. Wir können auch mittlerweile schon sehen mithilfe der Studie, die wir in Auftrag gegeben haben, als Linksfraktion im Europäischen Parlament, das selbst unter den multinationalen Konzernen, neben den üblichen Gewinnen, die erzielt worden wären, auch ohne die Krise nur circa jedes fünfte Unternehmen tatsächlich zusätzliche Riesengewinne kassieren konnte. Und wir haben es logischerweise dann mit einer erschreckenden Konzentration von Krisengewinn in den Händen von nur wenigen Großkonzernen zu tun. In Deutschland allein haben fünf Großkonzerne allein über 87 Prozent aller Krisengewinne eingenommen, darunter ein Konzern, auf den allein 60 Prozent der Krisengewinne zurückfallen. Im sogenannten Informationssektor verbucht ein einziger der genannten Großkonzerne 50 Prozent aller globalen Krisengewinne. Das sind also unglaubliche Dimensionen, unglaubliche Gewinnsteigerungen. Während der Pandemie, die dazu führt, dass natürlich auch wirtschaftliche und politische Macht akkumuliert wird, der Markt verzerrt wird und gleichzeitig Monopolbildung begünstigt werden. Wenn wir also dem entgegensteuern wollen und gleichzeitig die Mittel einnehmen wollen für einerseits den Wiederaufbau, andererseits aber auch zur Unterstützung bestimmter sozialer Leistungen zum Beispiel, dann müssen wir uns endlich trauen, politisch vor allem die Ampelkoalition, an dieser Stelle auch eine Krisengewinner heranzugehen. Es ist im Übrigen auch etwas, was die Grünen gefordert haben im Wahlkampf. Davon war es während den Verhandlungen nicht mehr so viel zu hören.

Das ist ja leider nicht der einzige steuerpolitische Punkt, der die Koalitionsverhandlungen nicht überlebt hat. In welcher Höhe würdest du denn die über Gewinnsteuer veranschlagen?

Martin Schirdewan: Die historische Erfahrung zeigt, dass die Steuersätze für Krisengewinne zwischen 50 und 100 Prozent liegen. Ich denke, wir sollten daher eingangs auf zusätzliche Übergewinne eine Steuer von 50 Prozent erst mal erheben. Das ist unsere politische Forderung. Damit werden EU weit steuerliche Mehreinnahmen von ca. 25 Milliarden Euro zu erwarten, die dann entsprechend für Investitionen ausgegeben werden könnten. Also im Bereich Digitales zum Beispiel, aber auch bei der notwendigen Verkehrswende, im Bildungssektor und so weiter. Wir können dann natürlich beobachten, wie sich einerseits die Pandemie entwickelt, andererseits auch der Wiederaufbau gestaltet. Und dann kann man ähnlich wie das auch historische Vorbilder gemacht haben, darüber nachdenken, ob man den Steuersatz noch mal nachjustiert und erhöht. Die restlichen Gewinne würden dann tatsächlich bei den Konzernen erst mal bleiben. Die Überlegung von uns ist aber, dass natürlich die beiden Krisenjahre 2020 und 2021 Gültigkeit haben müssen, also die Abgabe für beide Jahre erhoben werden müsste. Ob sie dann auch für das kommende Jahr 2022 gelten sollte, werden wir entsprechend sehen in Abhängigkeit von der Pandemie-Entwicklung. Eindeutig muss hier noch mal festgehalten werden. Es handelt sich also nicht ausdrücklich nicht um kleine und mittelständische Unternehmen, die von einer Übergewinnsteuer bzw. einer Krisengewinn-Steuer betroffen wären, sondern ausschließlich um multinationale Großkonzerne.

Das klingt gar nicht schlecht, da wir bereits in unterschiedlichen Studien gesehen haben, dass Großunternehmen Gewinne entweder ausschütten oder sparen. Investitionen hingegen hängen nicht so sehr von steigenden Gewinnen ab, wie es Liberale oft behaupten. Stattdessen können ja sogar eine Gewinnsteuer zu Anreizen für mehr Investitionen führen. Durch zusätzliche Investitionen und Abschreibungen kann eine Steuerzahlung auf Gewinne in die Zukunft verlagert werden und damit je nach Ausgestaltung der Übergewinnsteuer diese vermeiden. Das würde einerseits die Investition anreizen und andererseits durch die überbleibende Steuerlast die Marktmacht der Krisengewinner einschränken. Allerdings ist die Übergewinnsteuer hier relativ unbekannt. In der öffentlichen Debatte gibt es noch andere Beispiele für diese über Übergewinnsteuer.

Martin Schirdewan: Mit dieser Forderung stehen wir tatsächlich nicht allein. In der Geschichte gibt es Beispiele, wo das umgesetzt wurde, während des Ersten und Zweiten Weltkrieges, aber auch nach der Nuklearkatastrophe in Japan, in Fukushima. Heutzutage fordern das vor allem Wissenschaftlerinnen, auch vom Internationalen Währungsfonds, die interessanterweise eine sogenannte Covid19 Recovery Contribution vorgeschlagen haben. Das ist genau das gleiche. Im Prinzip geht es darum, dass Krisengewinner den Wiederaufbau finanzieren soll und dafür entsprechend dann auch mit über Gewinnsteuern belegt werden.

Du hast gerade Wissenschaftler angesprochen, die das befürworten. Der Ökonom Marcel Fratzscher hingegen hat sich nach seinem Vorstoß kritisch geäußert. Nach ihm hätten Unternehmen, wie zum Beispiel Biontech zu Recht hohe Gewinne, die nicht bestraft werden sollten. Was hältst du davon?

Martin Schirdewan: Dieses Argument, dass der Marcel Fratzscher da vorgetragen hat, dass eine solche Übergewinnsteuer oder Krisengewinnsteuer eine Strafe wäre für besonders erfolgreiche Unternehmen, das ist natürlich totaler Humbug. Aber wir werden so was immer wieder hören, weil ich auch immer wieder Ökonomen finden, die sich zum Wortführer der Großkonzerne oder der Interessen der Großkonzerne machen. Die Annahme, dass wir es hier einfach mit erfolgreichen Unternehmen zu tun haben, die ist schon im Ansatz falsch. Denn er außergewöhnliche Unternehmenserfolg dieser Unternehmen, der ist ja durch eine Ausnahme- bzw. Krisenzustand, von dem eben diese Konzerne insbesondere profitiert haben, ja überhaupt hervorgebracht worden. Diese Konzerne hatten einen Vorteil gegenüber allen anderen Marktteilnehmern. Das geht also im Grunde genommen nicht darum, irgendjemand zu bestrafen, sondern ganz im Gegenteil wieder faire Bedingungen herzustellen und die Profiteure einer Krise am Wiederaufbau und den Weg aus der Krise gerecht zu beteiligen. Und es geht ja auch nicht darum, alles sozusagen einzunehmen, sondern die natürlichen Gewinne werden klassisch besteuert, nur die zusätzlichen Gewinne werden entsprechend mit einer Krisen-Abgabe belegt. Und da wäre mein Vorschlag eben zunächst nur 50 Prozent.

Erstmal vielen Dank, lieber Martin, für deine spannenden Antworten. Da hast du vollkommen recht und ähnliche Argumentationen hört man ja auch bei der Vermögensabgabe. Es sind ja auch nicht nur die Unternehmen, die von der Krise profitiert haben, sondern auch deren Eigentümer. So sind die eher unbekannten Großaktionäre von Biontech, die Strüngmann Brüder, durch die erwarteten Gewinne mit den Impfungen unfassbar reich geworden. Sie waren zwar schon vorher Multimilliardäre, aber eher Hinterbänkler auf der reichen Liste und wurden dann durch Biontech auf den ersten Platz der reichsten Familien Deutschlands katapultiert. Dass der Staat einen erheblichen Einfluss auf die Entdeckung des Impfstoffes hatte, ist offensichtlich, da er das kostenfreie Studium der Forscher ermöglicht hat, die Grundlagenforschung finanziert und die Produktion massiv subventioniert hat. Wer mehr zur Geschichte der Strüngmann Brüder erfahren will, dem sei mein Jacobin Artikel dazu empfohlen, den ich euch verlinke. Gerne könnt ihr den Podcast auch abonnieren oder auf Twitter teilen, wenn er euch gefallen hat. Bis zum nächsten Mal bei den Wirtschaftsfragen.

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