Die Ampel gilt für viele als Aufbruch in eine neue Zeit. Digitalisierung, Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit. Zweifellos gibt es fortschrittliche Forderungen im Sondierungspapier. Das Problem ist hingegen der ungeklärte Finanzteil und der Hang zum Neoliberalismus, wenn sich Lindner als Finanzminister durchsetzt.
Transkription: Interview mit Ines Schwerdtner
Hallo und herzlich willkommen zu den Wirtschaftsfragen. Mein Name ist Lukas Scholle und heute geht es um die Ergebnisse der Sondierungen von SPD, Grünen und FDP.
Ines Schwerdtnerr: Das gesamte Sondierungspapier atmet den Neoliberalismus ein und das hat natürlich mit der FDP zu tun. Aber nicht nur. Also die FDP ist natürlich die treibende Kraft dahinter, weil sie eine Klientelpartei ist, die auch nichts anderes macht, von denen man auch nichts anderes erwarten sollte. Aber ehrlich gesagt: Auch Teile der Grünen und SPD tun sich schwer mit der Schuldenbremse und mit Investitionen, wollen auch gar nicht den Sozialstaat krass umbauen, wollen auch gar nicht stärker Reiche besteuern und so weiter.
Das war Ines Schwertner. Sie ist Politikwissenschaftlerin und Chefredakteurin des Jacobin Magazins und beschäftigt sich viel mit der Entwicklung politischer Theorie. Das Sondierungspapier wurde letzten Freitag vorgelegt und enthält die Eckpunkte, auf die man sich verständigen konnte. Dabei sind manche Maßnahmen sehr konkret und manches ist nur als Ziel formuliert, wo man gar nicht weiß, wie man da hinkommen soll. Mittlerweile haben alle drei Parteien sich für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen ausgesprochen. Diese dürften noch mal sehr spannend werden, da das Papier insbesondere finanzpolitisch sehr große Lücken hat – worauf wir später noch mal genauer eingehen werden.
Liebe Ines, Du schreibst regelmäßig Artikel über das aktuelle politische Geschehen und ordnest es immer sehr gut ein. Wo findet sich welche Partei im Sondierungspapier wieder?
Ines Schwerdtner: Also man muss sagen, dass sich alle drei Parteien naturgemäß im Sondierungspapier wiederfinden und dass jeder versucht hat, sich durchzusetzen. Man muss allerdings sagen, dass sich ideologisch und substanziell FDP und Grüne am stärksten durchgesetzt haben jeweils; die FDP in der Finanzpolitik und die Grünen in der Klimapolitik. Während die SPD aus meiner Sicht vor allem sehr konkrete Wahlkampfversprechen in das Sondierungspapier hat einfließen lassen. Also wenn man jetzt mal bei der SPD betrachtet, der Mindestlohn ist da drin oder auch das Mindestalter der Rente ist geblieben, die globale Mindeststeuer. Auch die Entlastung der Kommunen. Das ist alles eindeutig aus dem SPD-Programm. Auch das Bürgergeld. Wobei es da natürlich auch vor allem auf die genaue Ausgestaltung drauf ankommt. Aber das sind natürlich alles SPD-Kernthemen, die relativ konkret sind, die aber eigentlich sehr stark nur so, wie soll ich sagen, Verteidigungskämpfe sind. Also die Erhöhung des Mindestlohns steht ja schon lange aus, ist eigentlich auch immer noch nicht ausreichend und ist vergleichsweise kleinschrittig. Also ist etwas, was sich finanziell gar nicht so stark auswirkt, auf die Staatsausgaben sowieso nicht und insofern ist das relativ günstig zu haben. Aber natürlich symbolisch, weil das eben im Wahlkampf so zentral gesetzt wurde von der SPD. Sehr, sehr wichtig auch, dass das Rentenalter nicht erhöht wird, ist jetzt ja eigentlich kein krasser Gewinn. Man erkennt daran eher, wie sehr man sich gegen die FDP überhaupt sozialpolitisch durchsetzen musste, weil die FDP wirklich mit einem viel schlechteren Ergebnis mit den 15 Prozent sehr viel rausgeholt haben, muss man sagen.
Also eben insbesondere finanzpolitisch, da die Schuldenbremse drin zu lassen. Sehr stark an diesen privaten Investitionen, an den super Abschreibungen, an diesen ganzen Punkten. An dem Finanzteil kann man sehr stark sehen, wie sehr sich die FDP durchgesetzt hat, aber eben auch an den anderen Stellen, also selbst an diesem Punkt von Arbeit, wo es darum geht, ob die Höchstarbeitszeit flexibel gestaltet werden kann in sogenannten Experimentierräumen. Das klingt sehr, sehr stark danach, als käme das von der FDP, ist aber eigentlich der Kernbereich der Sozialdemokraten. Und das heißt, die FDP hat schon sehr, sehr stark auch in den anderen Sektionen dieses Sondierungspapier. Sind Sie da erkennbar? Und ich muss sagen, dass diese Frage der Finanzierung der Investitionen eben so groß ist und eigentlich alle anderen Fragen berührt, dass die FDP eigentlich das wichtigste Ressort, wenn sie es dann auch bekommt, das Finanzministerium natürlich damit eigentlich extrem Einfluss ausüben kann, auch auf die anderen Bereiche. Und die Grünen haben, glaube ich, auch etwas sehr Kluges gemacht, nämlich sie haben Zahlen festgesetzt, was ihr Klientel eigentlich hauptsächlich befriedet. Sie haben aber in dem Sondierungspapier noch überhaupt nicht konkret gesagt, wie das gehen soll, also zum Beispiel der Kohleausstieg 2030 oder idealerweise aus der Kohle auszusteigen 2030, das ist schon eine Einschränkung. Und grundsätzlich auf den 1,5 Grad Pfad zu bleiben. Das ist natürlich ein schönes Versprechen und es glaube ich auch ein sehr deutliches Signal an die Klimabewegung und auch an die eigene Wählerschaft. Aber es wird natürlich überhaupt nicht konkret gesagt, wie das industriepolitisch aussehen soll. Es wird auch noch nicht konkret gesagt, wie Arbeitsplätze gesichert werden sollen und so weiter. Das sind natürlich dann die Folge-Konflikte, die kommen werden. Das heißt, tatsächlich hat die FDP dadurch, dass sie dieses eine Feld ideologisch so stark besetzt – der Finanzierung – hat sie damit im Prinzip schon ganz, ganz viel Grundlagen gelegt für die anderen.
Die Grünen werden es sehr, sehr schwer haben, dann überhaupt auf ihre Versprechen, die sie da jetzt geben, in dem Papier einzugehen. Wahrscheinlich wird es in Jahren so kommen, dass sie sagen, aus den und den Gründen innerhalb der Koalition konnten wir unser Ziel nicht erreichen. Und die SPD kann natürlich froh sein, weil sie ihre Punkte eigentlich ganz gut erreichen wird und darüber hinaus aber kein ambitioniertes sozialpolitisches Programm verfolgt. Das heißt, Sie werden es relativ einfach haben zu sagen, Sie haben doch das direkt umgesetzt. Das mit der globalen Mindeststeuer hat aus anderen Gründen nicht funktioniert, mit den hatten wir nichts zu tun und so weiter. Sie haben nicht so ambitionierte Punkte, dass sie nicht so krass scheitern können. Die Grünen haben eine sehr große Gefahr, dass sie scheitern können. Und die FDP kann sich eben ein bisschen sonnen darin, dass sie an dem längeren Hebel sitzt.
Da stimme ich dir vollkommen zu. Nicht nur, dass sie am längeren Hebel sitzen, sondern auch, dass sie finanzpolitisch zumindest tiefe Pflöcke gesetzt haben, wie zum Beispiel, dass keine neuen Substanzsteuern wie eine Vermögenssteuer geben soll oder, dass Steuern, die Reiche betreffen, wie die Unternehmenssteuer oder die Einkommenssteuer, nicht erhöht werden sollen. Daneben gibt es bei der Finanzpolitik auch große Widersprüche, wie zum Beispiel beim Thema Staatsfinanzen, wobei unter der Schuldenbremse auch die Steuerpolitik dazu gehört. Bei der Schuldenbremse wurde sich auf die grundgesetzliche Einhaltung verständigt. Auch wenn das oft kritisiert wird, ist das relativ unspektakulär. Auch eine progressive Regierung würde sich daran halten müssen, wenn sie die Schuldenbremse nicht bedingt durch die Klimakrise aussetzen kann. Diese Aussetzung wäre genauso wie die Aussetzung in der Coronakrise mit der sogenannten Kanzlermehrheit möglich. Im Sondierungspapier steht aber gleichzeitig, dass neben der Einhaltung der grundgesetzlichen Schuldenbremse alle notwendigen Investitionen getätigt werden sollen. Auf diesen scheinbaren Widerspruch gibt es einige Antworten.
Zum Beispiel kann man die Schuldenbremse modifizieren. Aus dem progressiven Lager ist die Forderung nach einer goldenen Regel, wodurch Investitionen bei der Schuldenbremse ausgeklammert werden, die beliebteste. Dafür wäre allerdings eine Grundgesetzänderung, also eine Zweidrittelmehrheit notwendig, die natürlich nicht absehbar ist. Die softere und einfachere gesetzliche Reform wäre die Änderung der sogenannten Konjunktur-Komponente, die ein Berechnungsbestandteil der Schuldenbremse ist. Diese Reform würde im Geiste der FDP wohl einer Aufweichung der Schuldenbremse gleichkommen und ist daher wenig vorstellbar. Neben den Reformen der Schuldenbremse gibt es auch die Möglichkeit, Handlungsspielräume jenseits des Regelungsgehalts der Schuldenbremse zu nutzen. Da gab es zum einen die Rücklage-Lösung, die besagte, dass im kommenden Jahr aufgrund der weiterhin ausgesetzten Schuldenbremse neue Schulden aufgenommen werden können, diese dann in den Folgejahren zweckgebunden verwendet werden dürfen. Diesen Weg haben die Verhandler aber bereits dementiert. Da bleibt dann auch nicht mehr viel übrig, wie man dieses Volumen der Investitionen stemmen könnte. Dafür kommen dann nur noch Schattenhaushalt in Frage. Dabei geht es zum einen um Investitions-Gesellschaften und zum anderen um Investitionsfonds. So kann eine Investitions-Gesellschaft im Staatsbesitz neue Schulden aufnehmen, die dann nicht unter die Schuldenbremse fallen und je nach Zweck der Gesellschaft investieren. Ein gutes Beispiel dafür ist die Bahn. Der Investitionsfonds ist ebenfalls im Staatsbesitz, agiert aber eher als Mittelsmann. Er würde sich neben einer Kapitalausstattung des Bundes auch über Fremdmittel wie Anleihen und Kredite finanzieren. Mit diesen Mitteln würde er wiederum öffentliche Unternehmen wie dem Öffentlichen Personennahverkehr oder den städtischen Wohnungsbaugesellschaften unter die Arme greifen. Beides wäre eine Institutionalisierung von Schattenhaushalt, was man sich mit der FDP nur wirklich schwer vorstellen kann. Allerdings muss es ja irgendeinen Kompromiss geben, da der Haushalt ohne Steuererhöhung und mit den Superabschreibung der FDP die das Unternehmensteueraufkommen temporär senken werden, schnell an seine Grenzen kommen wird. Welche Möglichkeiten es beim Thema Staatsfinanzen noch so gibt, habe ich neulich für den Freitag aufgeschrieben und verlinke es in der Beschreibung.
Ines, wenn wir das Papier weit aus progressiver Sicht betrachten was ist gut und was schlecht dran?
Ines Schwerdtner: Ja, also aus progressiver Sicht ist es glaube ich durchwachsen. Und ich glaube auch wenn man manchmal denkt, der Begriff des progressiven Neoliberalismus ist ein bisschen platt, aber für diese Koalition passt er doch ziemlich perfekt, weil es eigentlich ein paar sozialpolitische, auch ein paar gesellschaftspolitische Bewegung daran gibt, wo man sagen kann: Okay, wenn Sie es schaffen, tatsächlich das Team und die Regierung paritätisch zu besetzen. Okay, schön, wenn man sagt, Kinder aus Hartz IV werden entlastet, das ist natürlich schön. Diese Kindergrundsicherung, das ist wichtig. Das sind kleine progressive Schritte, natürlich. Die will ich auch überhaupt nicht kleinreden. Aber das gesamte Sondierungspapier atmet den Neoliberalismus ein. Und das hat natürlich mit der FDP zu tun. Aber nicht nur. Also die FDP ist natürlich die treibende Kraft dahinter, weil sie eine Klientelpartei ist, die auch nichts anderes macht, von denen man auch nichts anderes erwarten sollte. Aber ehrlich gesagt: Auch Teile der Grünen und SPD tun sich schwer mit der Schuldenbremse und mit Investitionen, wollen auch gar nicht den Sozialstaat krass umbauen, wollen auch gar nicht stärker Reiche besteuern usw., Wollen auch gar nicht so viel verändern und wollen noch diese sozialökologische Marktwirtschaft, wie Annalena Baerbock das ja auch so nannte, auch schon übrigens länger nannte, Christian Lindner hat es jetzt auch gesagt. Das ist so ein Schlagwort, ein großer Schirm, unter denen sich alle drei sozusagen vereinen können. Und niemand zweifelt da an der Marktwirtschaft und niemand zweifelt da auch an der Rolle des Marktes. Es wird natürlich neu das Verhältnis Staat und Markt verhandelt, auch in diesen Sondierungen. Und es wird sozusagen auch teils keynesianische Politik geben, wo man sagen kann, es hätte schlimmer kommen können aus progressiver Sicht. Klar, es kann immer schlimmer kommen. Also ich bin mir sicher, dass auch viele CDU-Ministerien nicht besser oder schlechter sind. Aber wie gesagt: Man darf da keinen Hehl draus machen, dass mit der FDP im Boot man wirklich eine reine Klientelpartei da drin hat und dass auch die anderen eigentlich keinen größeren Umbau wollen. Das heißt, die größten Herausforderungen werden überhaupt nicht angegangen. Und im schlimmsten Fall könnte passieren, dass sich die nächsten vier Jahre diese Koalition eher so ihren Koalitionsvertrag abarbeitet. Die Punkte, die genannt sind, auch tatsächlich tut, an den ambitionierten Schritten aber scheitern wird. Also alles, was den sozial-ökologischen Umbau angeht, überhaupt nicht ausreicht. Nachdem, was wir wissen, werden die Investitionen, wie sie jetzt geplant sind, nicht ausreichen, um das tatsächlich zu tun. Oder aber es werden diejenigen drunter leiden, die dafür zahlen müssen, also untere und mittlere Einkommen. Und das ebnet natürlich den Weg. Sollte sich die CDU vor allem auch in den nächsten vier Jahren konsolidieren und eine starke Führung aufbauen, starkes Profil wieder aufbauen, kann das natürlich den Weg ebnen für ganz andere Figuren à la Merz. Die müssen gar nicht Friedrich Merz heißen. Aber natürlich kann es, so wie wir das öfters gesehen haben, führt so ein Weg des progressiven Neoliberalismus, wie unter Obama beispielsweise, führt dann zu jemandem wie Trump, und das ist die Gefahr besteht natürlich absolut, dass diese Koalition jetzt zu was viel, viel Schlimmerem führt, weil man glaubt, dass die progressiven Elemente da sind, die aber überhaupt nicht an den Kern, an den Grund der Sache gehen und dadurch über längere Zeit so viel Frustration erzeugen, dass man sagen muss: Daran war überhaupt nichts progressiv, weil daran an überhaupt nichts an Umverteilung stattgefunden hat, sondern weiter Umverteilung von unten nach oben stattgefunden hat. Und wenn das unter diesem Deckmantel von angeblich progressiver Gesellschaftspolitik stattfindet, dann ist das im Zweifel noch viel, viel schlimmer. Ich würde diese Koalition auch auf gar keinen Fall progressiv nennen.
Wie sich die Einzelmaßnahmen auf die Verteilung auswirken werden, wird sehr spannend werden. Vor allem der Mindestlohn würde einen erheblichen Einfluss haben. Wo du natürlich recht hast, ist, dass Lindner genauso mit Friedrich Merz koalieren würde, was im Vergleich zur Ampelkoalition natürlich eine Katastrophe wäre. Man muss die Koalitionsverhandlungen ja noch weiter abwarten. Aber was würdest du sagen, bedeutet das für DIE LINKE? Die sich ja erneuern will und muss.
Ines Schwerdtner: Ich glaube, für DIE LINKE ist es tatsächlich schwierig. Einerseits, weil sie in der Opposition ist, mit CDU und AfD in dieser Konstellation. Das heißt, sie ist die einzige Stimme überhaupt, die sich für Soziales einsetzen wird. Die anderen hat sie eigentlich auch gegen sich. Die Opposition ist ja krass gespalten. DIE LINKE hat da auch keine Bündnispartner mehr, sondern steht wirklich ganz allein für sich. Das kann eine Chance sein, weil man ja auch dann wirklich eine besondere Rolle zugewiesen bekommt dadurch. Aber der Impuls wird wahrscheinlich sehr groß sein für DIE LINKE, sich jetzt daran abzuarbeiten, was Grüne und SPD alles nicht tun. Also den Reflex zu haben, die SPD dafür zu kritisieren, was sie jetzt alles nicht tut, was richtig ist, wenn man sagt: Das Bürgergeld wird eingeführt, aber wenn es Hartz IV eigentlich nicht wirklich abschafft oder nicht wirklich überwindet, dann ist das natürlich nur Etikettenschwindel. Das stimmt alles. Man kann auch den Grünen dann vorwerfen, was sie alles nicht tun und warum Dinge nicht funktionieren werden. Aber man kommt dann ich nicht aus diesem, aus diesem Kurs heraus. Sich weiterhin an denen abzuarbeiten, die noch nicht links genug sind, weil man irgendwie noch die Hoffnung hat, dass das eigentlich linke Parteien sind. Und davon muss man sich, glaube ich, freimachen, dass man schon harte Kritik hat an der Regierungspolitik – das muss die Linke als Opposition tun – aber ich glaube, tatsächlich muss sie darüber hinaus wirklich nicht nur versuchen, jetzt wieder enttäuschte SPD und Grünen Wähler zurückzugewinnen, sondern für sich selbst in dieser Zeit auch überlegen, welchen sozialistischen Pol wollen Sie außerhalb dieser Konstellation eigentlich bilden? Was können Forderungen sein, die eben nicht schon eingespeist sind in diesen Konsens dieser Ampelkoalition, sondern die so weit gehen und trotzdem so realistisch sind und mehrheitsfähig sind, dass sie trotzdem ganz viele Menschen bewegen, aber von denen wir wissen, dass sie viel zu radikal wären für diese Ampelkoalition? Also die Linke müsste sich ganz genau überlegen, welche Kernforderungen sie nach vorn stellt, von denen sie weiß, dass die Ampelkoalition sie gar nicht erfüllen kann und von denen sie aber auch weiß, dass sie Menschen davon überzeugen könnte, dass es ihr Leben lebenswerter macht. Das muss so weitgehend sein, dass das sich nicht so auffressen lässt. Aber man muss auch so konkret sein, dass es für Menschen einen Sinn ergibt. Und ich glaube, da wird sie, denke ich, eine Doppelstrategie brauchen, nämlich wie sie richtig gute Parlamentsarbeit macht. Jetzt als einzige kleinere Oppositionsfraktion. Das wird sehr schwierig und da muss sie auch sehen, dass sie sich auch darauf fokussiert, weil sie einfach viel kleiner geworden ist, also dass sie sich auf Themen fokussiert, wo sie auch wirklich gut ist und glaubwürdig ist, nicht so sehr in so einem Jammerton und verfällt und einfach sagt, wie schlecht die alle sind und gleichzeitig sich aber außerhalb des Parlaments als Partei halt erneuern muss. Und das wird natürlich sehr, sehr schwierig. Sie muss einerseits sehr diszipliniert und gut im Parlament arbeiten, möglichst auch ohne internen Streit – das wird wahrscheinlich das Schwierigste sein – und außerhalb aber trotzdem eine Erneuerung durchführen, die ja überhaupt gar nicht von diesem Parlaments-Zeug so sehr durchdrungen sein muss, sondern die ja im Gegenteil eigentlich viel mobilisierende sein muss. Dafür aber muss sie sich ja auch auf das Kernthemen fokussieren und darf sich da glaube ich gar nicht so sehr leiten lassen davon: Was macht diese Ampel-Koalition und wie kritisieren wir das? Und was wollen wir besser machen? Sondern tatsächlich ganz für sich selber überlegen: Was wollen wir eigentlich und was wollen die Menschen in diesem Land? Was würde ihr Leben verbessern? Und das fordern wir, also gar nicht so sehr an dieser Ampelkoalition orientieren.
Bei dem Problem der LINKEN stimme ich dir überwiegend zu. Ich glaube aber, dass der Finanzpolitik ein besonderer Fokus zukommen sollte. Während es in Sozial und Umweltfragen kleine Fortschritte geben wird, ist die Finanzpolitik nach jetzigem Stand vage bis neoliberal. So wurde auch kürzlich im Handelsblatt berichtet, dass sich steuerpolitisch nichts Großes verändern wird. Aus politisch strategischer Sicht ist natürlich immer besser, den wirtschaftsliberalen Gegner der Koalition anzugreifen. Das wird aller Wahrscheinlichkeit nach Lindner als Finanzminister sein. Daneben ist die Finanzpolitik auch, wie du richtig sagst, ein Schlüssel für die wirklich großen Hebel aller Steuerpolitik und Staatsfinanzen. So werden wir auch hier Lindner in der Koalition weiter auf die Finger sehen. Bis dahin könnte dem Podcast gerne abonnieren und weiterempfehlen, wenn er euch gefällt. Bis zum nächsten Mal bei den Wirtschaftsfragen.