Finanzvoodoo der FDP – mit Maurice Höfgen

Derzeit laufen die Sondierungen für eine Ampel oder Jamaika Koaltion auf Hochtouren. Eine Sache verbindet beide: die Gefahr eines Finanzministers Christian Lindner. Bei der Partei der angeblichen Wirtschaftsexpertise zieht sich das Finanzvoodoo durchs Programm. Angefangen bei den Steuern über die Staatsverschuldung bis hin zur Inflation. Mit diesen Mythen räumen wir auf.

Transkript: Interview mit Maurice Höfgen

Hallo und herzlich willkommen in Wirtschaftsfragen! Kürzlich war die Bundestagswahl und gerade laufen die Vorgespräche für eine Ampel- oder eine Jamaika-Koalition auf Hochtouren. Eine Sache eint diese beiden Koalitionen: Die Gefahr eines Finanzministers Christian Lindner. Um seine mögliche Finanzpolitik soll es heute gehen.

Maurice Höfgen: Christian Lindner gibt sich gerne als Interessen Schützer künftiger Generationen. Die Realität ist aber eigentlich das komplette Gegenteil. Seine Finanzpolitik würde künftige Generationen belasten.

Das war Maurice Höfgen, der heute auf die Wirtschaftsfragen antworten wird. Er ist Ökonom, Buchautor und Mitarbeiter für Finanzpolitik im Bundestag, wo er regelmäßig das Finanz-Voodoo der FDP begutachten muss.

Aber noch mal einen Schritt zurück zu den Koalitionen. Derzeit gibt es zahlreiche Wortmeldungen von manchen Ökonomen, mit welchen ökonomischen Kompromissen eine Ampel möglich würde. Der Unterton ist aber oft derselbe: Die FDP muss mit ihrem Finanz Voodoo aufhören. Dabei erstreckt sich der Finanz-Irrsinn der FDP thematisch von Steuern über Staatsausgaben bis hin zur Inflation-Angst, die wir thematisch wieder nacheinander durchgehen werden. Im diesjährigen Sommerinterview äußerte Lindner bereits, dass seine Präferenz auf dem Finanzministerium liegt, was nur naheliegend als Wirtschaftspartei ist. Daneben hat er auch hauptsächlich einen finanzpolitischen Wahlkampf geführt.

Wenn wir nun davon ausgehen, dass sich Parteien in Koalition bei ihren Ministerien inhaltlich durchsetzen, blüht Deutschland eine Finanzpolitik als Lobbypolitik für die Superreichen, sozialer Kahlschlag für die Vielen und quasi Stillstand beim Umbau der Wirtschaft. Angefangen bei der Abschaffung des Rest-Solis, was gefühlt das Hauptanliegen der FDP im Wahlkampf war. Dies ist lediglich ein Geschenk an die obersten 10 Prozent Einkommen und insbesondere für das oberste 1 Prozent. Da der Soli nicht komplett einsetzen, sondern derzeit ansteigt.

Dazu kommt das Absenken der Unternehmenssteuer, damit die Unternehmen wieder Luft zum Atmen und zum Investieren haben. Das ist natürlich genauso Quatsch wie die Abschaffung des Solis. Die Unternehmenssteuern wurden in den letzten Jahrzehnten massiv gesenkt, wie wir in der letzten Folge gesehen haben. Und die Investitionen sind nie vom Fleck gekommen, da die staatliche Nachfrage fehlte. Die Schuldenbremse, die die staatliche Nachfrage massiv einschränkt, ist insbesondere mit den Steuerpläne der FDP verheerend. Wenn die Wirtschaft etwas schwächelt, sich die Steuereinnahmen reduzieren und nur eine minimale Neuverschuldung erlaubt ist, droht der Kürzungshammer für den Sozialstaat. Das kommt der FDP natürlich gelegen, um ihre anderen neoliberalen Projekte durchzuboxen, ist für die Wirtschaft aber fatal.

Sozialkürzungen in der Krise sind nämlich ein Teufelskreislauf. Sie bedeuten in der Konsequenz auch immer eine Kürzung von Nachfrage bei unteren Einkommensgruppen, somit weniger Wirtschaftsleistung und auch weniger Steuereinnahmen. Dadurch wird die Schuldenbremse erst recht nicht mehr haltbar, auch für die Investitionstätigkeit der Unternehmen, die Lindner diese Steuersenkung stimulieren möchte, ist die Schuldenbremse auf unterschiedlichsten Ebenen von erheblicher Relevanz. Am Beispiel der Bahn wird vieles deutlich. Massive öffentliche Investitionen in den Ausbau des Güterverkehrs senken das Risiko, die Kosten und die Dauer von Transporten. Dadurch können Unternehmen sich neue Absatzmärkte erschließen und dafür Investitionen bereitstellen. Der Bahnausbau füllt auch direkt die Auftragsbücher der Zulieferindustrie, die private Investitionen nach sich ziehen, um der Nachfrage nachzukommen. Diese Einkommen werden an anderer Stelle wieder ausgegeben und regen dort die Wirtschaft an und ziehen private Investitionen nach sich. Das ist nur ein Beispiel, wie beim Bahnausbau die Schuldenbremse die private Investitionstätigkeit ausbremst.

Ein Hauptgrund für die Schuldenbremse ist laut Lindner die Generationengerechtigkeit, der künftige Generationen angeblich diese Schulden zurückzahlen müssten. Maurice hat das Buch Mythos Geldknappheit geschrieben und sich intensiv mit Staatsfinanzen auseinandergesetzt. Was hältst du von dem Argument der Generationengerechtigkeit?

Maurice Höfgen: Ja, da ist tatsächlich nicht viel von zu halten. Christian Lindner gibt sich gerne als Interessen-Schützer künftiger Generationen. Die Realität ist aber eigentlich das komplette Gegenteil. Seine Finanzpolitik, die Form einer Sparpolitik wäre, würde künftige Generationen belasten. Und das sogar auf zwei Wegen: Einmal real und einmal finanziell.

Ich will das kurz erklären. Warum real? Nun, das ist eigentlich einfach zu verstehen, Lindners Sparpolitik würde bedeuten: Kürzungen für öffentliche Investitionen. Wenn man aber nicht investiert in Schulen, in Straßen, in Brücken, in Katastrophenschutz, in Klimaschutz, nun ja, dann geht die öffentliche Infrastruktur vor die Hunde. Und wenn wir eine marode Infrastruktur an die nächste Generation vererben, dann ist das natürlich eine Belastung und stellt sie schlechter. Und das Ganze wird natürlich problematisch, wenn Christian Lindner voreilig zurück zur Schuldenbremse zurückwill oder sogar den deutschen Schuldenstand reduzieren will. Deutsche Staatsanleihen, die werden natürlich bedient. Das wird immer gemacht. Wenn eine Anleihe ausläuft, bezahlt man sie aus und gibt eine neue aus. Das ist alles kein Problem, aber wenn man den Schuldenstand abbauen will, dann wird es problematisch, weil dann muss der Staat Überschüsse erwirtschaften. Und das ist genau das Gegenteil von dem, was ich eben erklärt habe. Dann würde der Staat über Steuern mehr Geld aus der Wirtschaft rausziehen, als er über Ausgaben hineingibt. Er entzieht der Privatwirtschaft damit also Geld, stellt sie finanziell schlechter. Und das wäre zum einen schlecht für die Wirtschaft und zum anderen löst es auch Ungerechtigkeit-Probleme aus. Denn Christian Lindner würde wohl kaum die Steuern auf Reiche erhöhen, um das zu schaffen, sondern er würde wahrscheinlich den Kürzungshammer rausholen und an Rente, Sozialstaat oder eben an öffentlichen Investitionen sparen und kürzen. Und das, sind wir wieder beim Anfang, würde dazu führen, dass es eine Belastung für die künftige Generation wäre.


Die Politik der FDP entlastet also künftige Generationen nicht, sondern belastet sie, da mit der Sparsamkeit des Staates auch die Wirtschaft nicht so läuft, wie sie könnte. Schadet Lindner mit dieser Politik doch auch seinem angeblichen Klientel, der Wirtschaft, oder?

Maurice Höfgen: Ja, völlig richtig. Die Sparsamkeit des Staates würde der Wirtschaft Kaufkraft entziehen. Denn wenn die Leute weniger Geld im Portemonnaie haben, dann bedeutet das natürlich auch: Sie können weniger ausgeben, gehen weniger einkaufen, die Unternehmen können weniger verkaufen, machen weniger Umsatz und weniger Gewinn. Und wenn Lindner und die FDP sich auf die Fahne schreiben, vor allem Politik für den Mittelstand zu machen und für mittelständische Unternehmen; mittelständische Unternehmen sind darauf angewiesen, dass die breite Masse der Bevölkerung, genug Kohle am Portemonnaie und genug Kaufkraft hat. Wenn die Wirtschaft aber lahmt, dann ist es genau das Gegenteil davon. Und hier sieht man eben gut: Die Schuldenbremse, von der die FDP schwärmt, sie ist nicht nur ungerecht, weil sie dann eben harte Verteilungskonflikte auslöst, weil dann irgendwo gekürzt werden muss, sondern sie ist eben auch wirtschaftsfeindlich.

Das Label der FDP als Wirtschaftspartei ist also quatsch. Auch das Label der Wirtschaftsexpertise ist Quatsch und wird an der kürzlichen Inflations-Panik deutlich. So forderte Lindner neulich neben der Schuldenbremse auch eine Inflations-Bremse mit dem Ziel, jedes neue Gesetz, das zu einer Verteuerung des Alltagslebens führt, muss an anderer Stelle zu einer Entlastung führen. Was soll das bedeuten und wie stehst du dazu?

Maurice Höfgen: Derzeit geht ja tatsächlich das Inflations-Gespenst um in Deutschland. Ich würde erst mal behaupten und die These aufstellen wir haben überhaupt keine Inflation. Denn die offizielle Inflationsrate, die daran gemessen wird, ob der Warenkorb sich verteuert, hat im Vergleich zum Vorjahresmonat, liegt derzeit bei 4 Prozent. Aber wenn wir mal gucken, was war denn eigentlich im September 2020 los? Also dem Monat zu dem wir es vergleichen? Nun, da war Deflation angesagt, minus 0,nochwas Prozent. Und warum? Weil die Mehrwertsteuer temporär gesenkt wurde, von 19 auf 16 bzw. von 7 auf 5 Prozent. Und es ist ja völlig logisch, dass wenn man die Mehrwertsteuer senkt, dass das Preisniveau anpasst. Und diesen Vergleich, den wir heute haben September 21 zu September 20, da müsste man diese Mehrwertsteuersenkung erst mal raus rechnen. Kann man schon mal locker 2 Prozent rausnehmen. Da haben wir ja jetzt im September 2021 schon mal nur eine Inflationsrate von knapp 2 Prozent. Das ist sogar die Ziel-Inflationsrate, die wir haben. Und jetzt gibt es aber noch ein paar andere Sachen, die wir beachten müssen. Denn Inflation ist erstmal definiert als kontinuierlicher Preisanstieg und nicht, dass irgendwelche Preise sich relativ verändern oder, dass wir einmal Effekte haben. Genau das haben wir aber auch. Also wir sehen zum Beispiel, dass bei den Energiepreisen, dass da gerade so ein bisschen Probleme gibt und durch die Decke geht. Wir sehen, dass Lieferketten noch gestört sind. Wir sehen das vor allem im Dienstleistungsbereich, die höheren Hygienekosten auch durchschlagen, weil die Unternehmen, die natürlich überwälzen auf höhere Preise. All das sind aber eher Einmal- bzw. temporäre Effekte. Und wenn man wirklich über Inflation nachdenken wollen würde, müsste man jetzt gucken Okay, wie entwickeln sich denn vor allem die Löhne? Denn das ist normalerweise dieser Inflations-Effekt, den man hat, wenn die Löhne sehr stark steigen, dann wieder die Preise, dann wieder die Löhne, dann hat man so eine Lohn-Preis-Spirale. Aber die Lohnabschlüsse sind moderat, super moderat, zu moderat. Und das heißt, von Inflation zu reden ist erst mal die völlig falsche Problemanalyse. Unabhängig davon, dass ich Problemanalyse also schon mal falsch finde, finde ich die Idee der Inflations-Bremse an sich, wie Lindner sich vorstellt – für jedes Gesetz, was irgendwo zu einer Verteuerung führt, soll woanders Entlastung gesorgt werden – auch wirklich schwierig. Also A: Wie wird mit dem Ziel-Inflationsrate von 2 Prozent umgegangen? Und B, gibt es natürlich einen Christian Lindner als Finanzminister immer eine super Steilvorlage, wenn man CO2-Preis erhöht wird, irgendwo eine andere Steuer senken zu wollen, die aber dann wieder seiner Klientel, den Spitzenverdiener und den Vermögenden nützt. Und das ist also sehr gefährlich. Und da wäre ich sehr, sehr vorsichtig. Nicht das aus der Inflations-Bremse so eine Umverteilungs-Bremse wird.

Taktisch ist es natürlich sehr sinnvoll, um das neoliberale Projekt weiter zu institutionalisieren. Eine solche Inflations-Bremse könnte ebenfalls wie die Schuldenbremse im Grundgesetz verankert sein. Würde dadurch die Handlungsfähigkeit des Staates weiter eingeschränkt werden?


Maurice Höfgen: Ja, ich glaube dazu ist es tatsächlich auch genau gemacht. Also das Geraune um das Inflations-Gespenst wird ja immer schon von wirtschaftsliberaler Seite dafür genutzt, um für einen kleineren Staat zu plädieren. Weniger Steuern, weniger Abgaben, weniger Ausgaben, man muss ja jetzt mal kürzen. Und das ist glaube ich genau das Ziel dahinter. Mit so einer Inflations-Bremse hat man auch ein schönes Argument in der Tasche, um Steuererhöhungen generell abzuwehren. Zumal und da macht sich Lindner natürlich auch nicht ehrlich: Eine Inflation-Bremse könnte ja auch bedeuten, die Sachen, die wir mal privatisiert haben und die deswegen teurer geworden sind, die müssten ja auch darunterfallen. Also wenn das kommunale Schwimmbad schließen muss und dann nur noch ein privates ist und das ist teurer. Ja, wenn die öffentliche Daseinsvorsorge eben so marode ist oder im Bildungsbereich, das verteuert auch das Leben von den Menschen. Das will Lindner aber nicht, weil er ein Fan vom Markt und kein Fan vom Staat ist. Und deswegen, da muss man wirklich sehr auf der Hut sein wie ein Luchs. Weil das wird genutzt und instrumentalisiert, um eine wirtschaftsliberale Agenda durchzusetzen.

Da bleiben wir gespannt, wie sich die Debatte um die Inflations-Bremse weiterentwickelt. Hast du sonst noch einen weiteren Punkt? Der droht mit einem Finanzminister Lindner?

Maurice Höfgen: Das Problem ist ja noch, dass der Nachbarländer haben, mit denen wir eine gemeinsame Währung teilen, den Euro. Und derzeit waren richtigerweise die europäischen Fiskalregeln dieser Defizit- und Schulden-Grenzen ausgesetzt. Lindner war immer schon ein Fan von diesen Regeln und von scharfen Sanktionsmechanismen, um diese Regeln einzuhalten. Lindner war sogar mal ein Fan davon, ein Insolvenz-Mechanismus, ein Insolvenzverfahren für europäische Staaten zu haben. Völlig wahnsinnig. Und wenn er jetzt dann in der EU die Verhandlungen führt, puh, dann kann es wirklich bitter werden. Zumal wir gerade die Situation haben, dass diese Defizit- und Schulden-Grenzen, – also vor allem die Schuldengrenze, 60 Prozent Staatsverschuldung – dass quasi alle Länder der Eurozone da drüber liegen. Und wenn man dahin zurück will und dann ein Spardiktat für die ganze Eurozone verordnet, dann fährt man die Wirtschaft der Eurozone vor die Wand. Und das ist vor allem für unsere Nachbarländer, für die Italiener, für die Griechen, für die Franzosen, für die Spanier, die ohnehin schon extrem hohe Arbeitslosigkeit haben. Seit Jahren, seit Jahren läuft die Wirtschaft da nicht. Wenn man da jetzt das Spardiktat noch mal neu ansetzt, den Kürzungshammer noch mal neu ansetzt, also dann gefährdet man wirklich den Zusammenhalt und die Zukunft der Eurozone. Man muss sich ja nur mal Italien angucken, also das Land, was es da für einen Rechtsruck gibt, was da für ein Euro-Skepsis gibt. Eine EU-Skepsis, weil das Land seit Jahren und Jahrzehnten nicht von der Stelle kommt. Obwohl Italien eigentlich Musterschüler ist und Jahr für Jahr einen Primärüberschuss erzielt. Also wenn man Zinsen rausrechnet, fahren die Jahr für Jahr einen Überschuss. Die waren also eigentlich vorbildlicher als Wolfgang Schäuble. Und wenn man den also jetzt dann mit so einem Lindner schon in Insolvenz Mechanismus droht und harten Sanktionen und harten Spardiktat, ja dann kann man den Laden der Eurozone irgendwann abschließen, weil die Italiener das nicht mehr mitmachen werden. Und das wäre natürlich katastrophal für die europäische Idee, aber auch für die deutsche Wirtschaft.

Vielen Dank! Also bleibt festzuhalten, dass ein Finanzminister Lindner, der sich mit seinen Inhalten durchsetzt, schädlich für eine große Mehrheit der deutschen und europäischen Bevölkerung ist und auch für die Wirtschaft. Wie genau die Kompromisse dann bei einer Ampel aussehen, bleibt fraglich. So könnte die Schuldenbremse im Sinne der FDP gewahrt werden, wenn sie im Sinne von SPD und Grünen die Schattenhaushalt umgangen wird. Das gab es allerdings nicht mehr einem Finanzminister Scholz. Auch steuerpolitisch ließen sich ja die Steuererhöhungen für Superreiche von Grünen und SPD mit den Steuererleichterungen von FDP ausgleichen. Entscheidend dabei ist aber, wie sehr Lindner sie durchsetzen wird oder ob er sich die Butter vom Brot nehmen lässt. Ich denke, wir sind alle gemeinsam gespannt auf die ersten finanzpolitischen Ergebnisse der Sondierungen und werden sicherlich noch mal darüber sprechen. Um keine Folge zu verpassen bis dahin, könnt ihr den Podcast Wirtschaftsfragen gerne abonnieren und bis zum nächsten Mal.

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